Eine aufregende Entdeckung
Christine Alwine Pauline Sültemeier geb. Grautebaunenkämper (um 1745) – Versuch, die Geschichte Bad Oeynhausens zu korrigieren.
„Wenn man es genau nimmt, bin ich ja die erste und älteste Oeynhausenerin, und das, obwohl ich mir das nie habe träumen lassen,“ beginnt Stine Sültemeier ihre Geschichte, „und da ist es ja wohl nur gerecht, wenn ich in einem Buch über bekannte Oeynhausenerinnen vorkomme, auch wenn ich nie viel Aufhebens um mich gemacht habe.“
Sie wirkt ein wenig verlegen, wie sie da in ihren weiten Röcken und der gestreiften Arbeitsschürze auf der kleinen Bank unter der Eiche vor ihrem Kotten sitzt, vor sich den großen Weidenkorb mit den Dicken Bohnen und einen Napf für die ausgepuhlten Bohnen, denn auch bei unserem Gespräch kann sie ihre Hände nicht einfach in den Schoß legen. „Diese Dicken Bohnen verfolgen mich nun schon seit der Wiege,“ schmunzelte sie und spielt damit auf ihre Herkunft und ihren Mädchennamen an. Das Licht der Welt erblickte sie nämlich nicht in Melbergen sondern in Eidinghausen, also jenseits der Werre, die mehr trennt als verbindet. Wilhelm Grautebaunenkämper hatte eine kleine Bauernstelle im Schatten des Ovelgönner Schlosses, und Stine, wie sie einfacherweise genannte wurde, war seine siebte Tochter. „Das Leben dort war einfach und schwer, aber beklagt hat sich keiner. Wir hatten immer satt zu essen, einmal in der Woche – am Sonntag – gab es sogar Fleisch. Mein Vater und die älteren Geschwister waren den ganzen Tag auf dem Feld oder im Stall und arbeiteten hart, und als ich sieben war, musste ich auch mit ran.“
Ist sie denn nicht zur Schule gegangen? Nein, davon könne kaum die Rede sein, räumt sie verlegen ein, denn dann hätte sie ja bei der Arbeit gefehlt. Und auf dem kleinen Hof wurde jede, auch die kleinste Hand gebraucht, besonders wenn der Vater zum Dienst zu den Herrschaften musste. Im Sommer gab es immer was zu tun, und im Winter war der Weg einfach zu beschwerlich, und überhaupt: Was sollte sie da? „Der Lehrer hat die Kinder oft geprügelt, und wenn er mal gute Laune hatte, hat er aus seiner Soldatenzeit erzählt. Gesangbuchverse musste man lernen und den Katechismus. Und das konnte ich auch lernen, wenn ich sonntags in der Kirche gut aufpasste. Was mich wirklich interessierte: Warum das Gras grün ist oder warum die Sonne nie über dem Wiehen aufgeht, das wusste der Lehrer auch nicht.“
Die langen Winterabende am Herdfeuer, die Erzählungen der Eltern und die Spiele mit den Geschwistern waren ihre Schule. Besonders mochte sie die Märchen, die die Großmutter erzählte und die Geschichten von Eulenspiegel, die der Vater immer so vortrug, dass man noch bis zum Einschlafen darüber lachen konnte. „Diese Märchen waren eine ganz besondere Sache und eigentlich bin ich traurig, dass ich nicht richtig schreiben gelernt habe, denn dann könnte ich sie aufschreiben und vielleicht würde sich später mal einer bei uns dafür interessieren. Und diese Eulenspiegelgeschichten waren gar keine Märchen. Ich hatte immer den Verdacht, dass das alles Leute aus dem Dorf oder der Nachbarschaft sind, die darin vorkamen.“
So wuchs die Stine Grautebaunenkämper heran, lernte alles, was für die Arbeit im Haus, Stall und Garten erforderlich war, und wenn sie später auf das Schloss musste, um in der Küche zu helfen, wenn dort bei den Herrschaften ein großes Fest gefeiert wurde, kriegte sie auch ein bisschen von der freien Welt mit.
Stine war mal gerade 18, als sie bei der Kirchweih ihren späteren Mann Wilhelm Sültemeier kennenlernte. Beim Tanzen machte er zwar keine besonders gute Figur, aber wie er sie beim „Schotteschen“ packte und ihr dabei in die Augen sah, das gefiel ihr. Dieser Sültemeier war aus Melbergen, also von der anderen Seite der Werre und er war der älteste Sohn in seiner Familie und sollte die Bauernstelle erben. „Wir haben uns dann ein paarmal heimlich getroffen und waren uns bald einig, dass wir heiraten sollten,“ erinnert sich Stine Sültemeier. Am nächsten Weißen Sonntag war es dann auch so weit. „Das Ja in der Kirche war für mich dann auch das Auf Wiedersehen von Eidinghausen, und ich bin nur noch zweimal dahin zurückgekehrt, um meine Eltern auf den Gottesacker zu begleiten.“
„Als junge Hausfrau musste ich nun noch mal ganz von vorne anfangen zu lernen, denn ich musste nun natürlich alles so machen, wie es mein Mann von seiner Mutter gewohnt war. Aber so ganz heimlich habe ich doch meinen Kopf durchgesetzt und bald war es bei uns wie zu Hause. Ich habe mir alles genau angeguckt, dabei ist es dann eines Tages im Sommer passiert.“
Stine Sültemeier schüttelt ein bisschen unwillig den Kopf, als ob ihre Geschichte nun einem ganz und gar peinlichen Höhepunkt zustrebt. „Wilhelm trieb die Schweine am Abend wieder in den Stall, und wie die so fröhlich grunzend ankamen, fiel mir auf, dass sie gar nicht dreckig waren, sondern in der Abendsonne silbrig glänzten, so wie in einem Märchen. „Wilhelm, was hast du mit den Schweinen gemacht?“ fragte ich. „Nichts. Warum?“ – „Und warum glänzen die so silbrig?“ – „Das machen die im Sommer immer.“
„Ich streichelte meiner Lieblingssau Jolanthe über den Rücken und der silberne Glanz rieselte aus ihren Borsten. Ich habe da nicht viel draufgegeben, als ich mir ein paar Minuten später über den Mund wischte, fiel mir auf, dass meine Finger ganz salzig schmeckten.“ Stine hebt wie zum Beweis zwei Finger ihrer rechten Hand hoch und fährt dann fort: „Am nächsten Abend wartete ich auf Wilhelm und die Schweine, aber es hatte den ganzen Tag geregnet wie meistens hier im Sommer und kein Schwein glänzte. So ging das ein paar Tage und dann war wieder ein Sonnentag. Und richtig: Die Schweine glänzten wieder wie die Silbertaler, ich griff in die Borsten, probierte – und richtig: es war Salz! „Wilhelm,“ fragte ich, „wo waren die Schweine?“ – „Wie immer unten in der Suhle. Was fragst du?“ – „Ach nichts.“
„Und dann ging ich mit einem irdenen Pott runter zur Suhle und sah mich um. Auch am Rand der großen Pfützen waren schmale weißsilbrige Ränder, die sich im Abendrot blutig färbten. Ich probierte davon vorsichtig – Salz! Nun schöpfte ich mit meinem Pott Wasser aus der Pfütze und rannte nach Hause, goss alles in einen Eisentopf und hängte ihn über das Herdfeuer. Am nächsten Morgen guckte ich in den Topf. Das Wasser war verkocht und auf dem Boden lag eine dünne Schicht Salz. Da war zwar auch Dreck dazwischen, aber das konnte man ja rausseihen.“
Man konnte Stine noch immer ihren Stolz auf die Entdeckung ansehen. Das war ja auch eine aufregende Sache. Salz war teuer, und man brauchte es immer: Zum Kochen, zum Backen und vor allem zum Pökeln. Wenn man das nun von der Wiese ernten konnte wie das Heu, dann war der Augenblick nicht mehr weit, dass die Sültemeiers selbst Geld wie Heu hätten! Natürlich weihte sie ihren Mann sofort in ihr Geheimnis ein. Der kratzte sich bedächtig am Kopf und meinte dann, das bringe nur Ärger. „Ach was,“ sagte ich, „da braucht keiner was von zu wissen. Wir ernten das Salz und sparen so viel Geld, und wenn die Leute fragen, wie das kommt, sagst du einfach: Meine Frau kann eben wirtschaften!“
„Ich war mir schon im Klaren, dass eine solche Salzwiese Ärger und Missgunst bringen könnte, und deshalb durfte keiner davon wissen, was ich entdeckt hatte. Aber dann kam doch alles anders.“
Als Sültemeier das nächste Mal aufs Amt musste, um seine Steuern zu bezahlten, klagten die anderen Bauern über die hohe Abgabenlast. Stine schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: „Und da prahlt doch mein Wilhelm: „Ich bezahle das bald alles mit links. Ich habe nämlich eine Salzwiese!“ Natürlich wollten das dann alle ganz genau wissen und ein Schreiber vom Amt kriegte auch ganz lange Ohren.
Nicht nur dass auf einmal alle Nachbarn unsere Wiese zertrampelten. Dieser Schreiber hat wohl auch alles aufgeschrieben und an die Regierung gemeldet, dass der Colon Sültemeier Salz aus seiner Wiese hat.“ „Ein paar Wochen drauf war es dann so weit: Einen Morgen kam der Amtmann mit diesem Schreiber und zwei Soldaten, guckte sich alles genau an, sagte nur immer ‘Sehr gut! Sehr gut!‘ und klopfte seinem Schreiber lobend auf die Schultern. Und noch ein bisschen später kamen irgendwelche hohen Herren, vor denen unser Amtmann immerzu Diener machte und guckten sich auch alles an und schrieben alles auf und malten große Karten von unserer Suhle. Von da an war es mit der Gemütlichkeit vorbei. Hätte ich doch nur nichts gemerkt!“
Stine berichtete jetzt von den ersten Gruben, die ausgehoben wurden, von der kleinen Siederei, die errichtet wurde und für die Sültemeier auch noch das Holz aus dem Wald heranschaffen musste. „Gleich hat man uns verboten, auch nur eine Krume Salz aus unserer Wiese zu holen, denn das gehört alles dem König in Berlin und wir als seine treuen Untertanen dürfen ihn nicht bestehlen. Davon, dass man uns die Wiese weggenommen hat, war natürlich keine Rede.
Als das neue Sudhaus eingeweiht wurde, hielt ein Mann eine Rede – ich glaube, es war ein richtiger Graf – und zum Schluss musste Wilhelm Sültemeier vortreten, und der Graf sagte, dass dieser Sültemeier ein großer Entdecker sei, aber noch größere Entdecker seien seine Säue, alle Leute lachten, und Wilhelm wusste nicht, ob er auch lachen sollte.“ Und Stine hat nichts abbekommen von dem Ruhm? Sie hat doch das Salz entdeckt! „Gott behüte! Das hätte mir noch gefehlt! Einmal wollte ich nicht unbedingt mit unseren Säuen verglichen werden, und dann gehört es sich in dieser Zeit auch nicht, dass sich die Frauensleute vor den Männern großtun. Wir hatten so schon genug Ärger.“ Und so reden alle im Ravensberger Land von Sültemeier und seinen Schweinen, aber keiner von seiner Frau Christine Alwine Pauline, der eigentlich der Ruhm gebührt, das Salz entdeckt zu haben, dass der Anstoß zu großen Tanten und Werken werden sollte.
Manfred Wolff
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